CEOs und Politik

CEOs und Politik

CEOs und Politik 808 594 Andreas Scheuermann

“Wie politisch darf ein CEO sein?” fragte kürzlich Siemens-CEO Joe Kaeser in einem Beitrag auf LinkedIn. Für sich selbst hat er entschieden, sich zu politischen Fragen zu äußern. In Bezug auf rassistische Äußerungen der AfD-Bundestagsabgeordneten Weidel war das für ihn “eine Frage des Anstandes und der Moral”. Er hatte “den Eindruck, dass man so etwas nicht stehen lassen darf”, so Kaeser. Er sieht aber auch einen generellen Grund, warum Wirtschaftslenker sich politisch äußern sollten: Ihr Handeln ist per se politisch. Zutreffend stellt er fest “Denn mit unseren Entscheidungen formen und gestalten wir Gesellschaften mit.  Aus diesem Politikverständnis erwächst eine erhebliche Mitverantwortung für das, was um uns herum passiert.”

Kaeser trifft einen wunden Punkt. Wenige Tage nach seinem Beitrag bemängelt er im Rahmen einer Veranstaltung, bei der er spricht, dass keine anderen Vorstände sich dieser Verantwortung in vergleichbarer Weise stellen. Warum nicht? Mögliche Begründungen liefert er bereits in seinem Beitrag auf LinkedIn mit. Eine davon lautet: “Man hat als Verantwortlicher in einem Unternehmen eigentlich kein formales beziehungsweise direktes Mandat, jedenfalls nicht von den Mitarbeitern, in ihrem Namen zu politischen Themen zu sprechen. Wohl auch nicht von Aktionären.”

Worüber CEOs gern reden und worüber nicht

Überlegen wir einen Moment, wozu wir Vorstände üblicherweise reden hören. Natürlich die Strategie, die Märkte, den Wettbewerb, die Ergebnisse, irgendwann kommen Kosten. Erstaunlich wenig Hemmungen haben CEOs bei industriepolitischen Interessen, von tarifpolitischen Forderungen bis hin zum Ruf nach Subventionen in Krisensituationen. Geschenkt. Zugleich reden CEOs durchaus gerne über das Gute, Edle und Schöne in ihren Unternehmen und natürlich auch in ihnen selbst. Wer überreicht nicht gerne Spendenschecks für wohltätige Zwecke, schmückt sich mit Sozial-Sponsoring, lobt bei Gala-Events das caritative Engagement, den Gemeinsinn und was sonst noch unbestritten gut ist.

Das Erscheinungsbild von CEOs hat eine Unwucht.

Durchschaubar politisch und geradezu konfrontativ dort, wo es eigenen, manchmal höchst eigenen Interessen dient. Hingegen weichgespült und menschenfreundlich bis zum Umfallen dort, wo es persönlich nichts kostet, weder eigenes Geld noch gedanklichen oder gar emotionalen Aufwand. Das Problem:  Wer kann  glauben, dass wir es hier mit authentischen Auftritten zu tun haben?

Der durchschnittliche CEO (ja, meistens ein Mann) ist ein politisches Nullsummenspiel, ein technokratisches Neutrum.

Das mag unter Karriere-Gesichtspunkten für die Meisten bislang nützlich gewesen sein. Doch für einen Gesellschaft, die sich insgesamt im Wandel befindet und Unternehmen, denen Transformationsprozesse bevorstehen, sind das keine guten Voraussetzungen. Denn wer gerade in wesentlichen gesellschaftlichen Fragen keinen Standpunkt oder nicht zumindest den Mut  zur Auseinandersetzung hat, wie will der Orientierung geben?

Sich positionieren schafft Kultur

Vielerorten ist vom Kulturwandel die Rede, der nötig sei. Sind nicht die fundamentalen Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens die Kernfragen der Kultur? Ist nicht die Fähigkeit zum kritischen Diskurs ein prägendes Merkmal unserer Kultur? Verlangen Führungskräfte nicht allenthalben nach kritischem selbständigem Denken bei ihren Mitarbeitern? Woran erkennen wir, dass sie selbst Vorbilder darin sind?

Ich will noch etwas zuspitzen. Wer sich bei diesen relevanten Fragen nicht äußert – stünde für ihn gegebenenfalls auch unsere Gesellschaftsordnung zur Disposition? Wäre er bereit, seine Großmutter zu verkaufen, wenn es nur ihm selbst die Position retten würde?

Es gibt eine Kehrseite der selbst verordneten politischen Neutralität: Fehlende Autorität.

Wer immer erst aus der Hecke kommt, wenn der Spuk vorbei ist, auf den will man sich nicht verlassen müssen.
Wer sich immer raus hält, wenn es nicht direkt um ihn selbst geht, der erwirbt kein Vertrauen.
Wer nicht versucht, Kultur zu zeigen und zu leben, der kann auch keinen Wandel anführen.

Joe Kaeser, mit dem man nicht in allen Fragen immer übereinstimmen muss, hat Leadership – oder ganz altmodisch Führungsqualität – gezeigt.

 

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Foto: Sea and Sun / Fotolia