Wie kommuniziert man Leadership?

Wie kommuniziert man Leadership?

Wie kommuniziert man Leadership? 1805 1052 Andreas Scheuermann

Wer seinen Ideen zum Durchbruch verhelfen will, ist auf Gefolgschaft angewiesen. Doch Wertewandel und Individualisierung scheinen genau diesem Prinzip entgegen zu stehen – warum sollte man heute noch jemandem folgen? Wer mit besserem Wissen, vorbildhaftem Charakter und unbändiger Schaffenskraft vorausdenkt und vorangeht, wird auf solche Vorbehalte nicht treffen. Der Schlüssel ist eine andere Art der Kommunikation.

Von Andreas Scheuermann und Randolf Jessl

Was genau verstehen wir unter Leadership, was macht jemanden zum „Leader“? Harvard-Professor John P. Kotter formuliert eine Anforderung, die zugleich eine mächtige Hürde darstellt:  “Leadership definiert, wie die Zukunft aussehen sollte, vereint Menschen mit einer Vision und inspiriert sie, diese trotz Hindernissen möglich zu machen.“ Leadership geht also über das Alltägliche hinaus, gibt Menschen Orientierung und schafft Bedeutung. Entscheidend ist aber nicht, ob man selbst glaubt, die Zukunft erkennen zu können, sondern ob andere dieser Vorstellung auch folgen.  Management-Lehrer Peter Drucker spitzt dies noch weiter zu: „Die einzige Definition eines Anführers lautet, dass jemand Anhänger hat“.

Leadership entsteht also nicht von oben herab, sondern zeigt sich immer dann, wenn Menschen ihre eigene Leistungsbereitschaft freiwillig in den Dienst einer Führungspersönlichkeit stellen.

In unseren Worten: Wer führen will, braucht Autorität. Doch wie überzeugt man andere Menschen, die selbst auch über Intelligenz, Selbstbewusstsein und vielleicht sogar Ambitionen verfügen? Insbesondere dann, wenn klassische Machtmittel kontraproduktiv sind und eher Widerstände auslösen? Drucker beschreibt drei Voraussetzungen für Leadership, die auch wir für entscheidend halten.

Voraussetzungen für Leadership

Für Drucker ist Leadership nicht gleichbedeutend mit Popularität. Es geht nicht um Liebe, Zuneigung oder Bewunderung, sondern um Ergebnisse. Die Anhänger, so die erste Voraussetzung, müssen die richtigen Dinge tun. In dieser Kategorie verbinden sich wirtschaftliche Ziele mit Vorstellungen der ethischen Unternehmensführung. Das rein fiskalische Ergebnis alleine ist nicht „das Richtige“.

Die zweite Voraussetzung für Drucker: Anführer müssen hochgradig sichtbar sein und agieren beispielhaft und vorbildlich. Die Anhänger sollen sehen und miterleben, was die Führungspersönlichkeit vorlebt. Sie sollen lernen, sich in den Spuren des Anführers selbst entwickeln. Auch hier wird die organisatorische Notwendigkeit von Sichtbarkeit um eine moralische Komponente ergänzt.

Und schließlich formuliert Drucker als dritte Voraussetzung schlicht Verantwortungsgefühl. Rang, Privilegien, Titel oder Geld sind für ihn keine Kategorien von Leadership. Die Führungspersönlichkeit ist gerade nicht aus formalen (Management-) Gründen eine solche, Ihre Fähigkeit muss sich in der tagtäglichen Praxis beweisen.

 

Reputation trifft Vision

Drucker beschreibt mit seinen Worten das, was der französische Soziologe Pierre Bordieu als „symbolische Kapital“ bezeichnet. Umgangssprachlich nennen wir es den guten Ruf, das Ansehen, „standing“ oder Reputation. Es ist das Ergebnis eines fortlaufenden kommunikativen Austausches, in dem Menschen sich anhand von vier Kriterien wechselseitig bewerten und einordnen:

  • Verantwortung: Wir wollen, dass jemand weiß, was richtig ist.
  • Glaubwürdigkeit: Wir wollen, dass jemand meint, was er/sie sagt.
  • Vertrauen: Wir wollen, dass jemand tut, was er/sie verspricht.
  • Zuverlässigkeit: Wir wollen, dass alles funktioniert, wie gesagt wurde.

Es liegt auf der Hand: Wer Menschen inspirieren, motivieren und in neue Leistungsdimensionen führen will, schafft dies nur über Kommunikation.

Leadership entsteht dort, wo sich diese Reputation und die von Kotter geforderte Vision miteinander verbinden. Denn Leadership erfordert das Vertrauen anderer in Wissen und Fähigkeiten wie auch die persönliche Zuverlässigkeit der Führungspersönlichkeit. Und Leadership erfordert die glaubwürdige Verantwortlichkeit für eine Idee.

Leadership im umfassenden Sinne ist für uns immer auch Vordenkertum, Thought Leadership. Die Wirkungskraft von Führungspersönlichkeiten liegt in ihrer Fähigkeit, Ideen für die Zukunft zu entwickeln, sie mit anderen zu teilen, Gehör und Anhänger zu finden. Die Idee wiederum ist es, die ihre einnehmende Wirkung und ihre virale Dynamik entfaltet. Sie springt von Kopf zu Kopf und Herz zu Herz, erzeugt einen aufklärerischen Impuls und dadurch zugleich ein emotionales Erlebnis. Und sie überzeugt auch dann noch, wenn ihr Protagonist nicht mehr im Raum ist. Ideen leben.

 

Follow your Followers

Visionäre Menschen stehen oft vor einem Paradoxon. Sie haben sich tiefer mit ihren Themen auseinandergesetzt und daraus eine eigene Perspektive entwickelt. Sie wissen erst einmal mehr als andere, sie blicken weiter, und können schneller einschätzen, in welche Richtung sich Dinge entwickeln müssen. Gerade Führungspersönlichkeiten in Unternehmen, aber auch in der Politik leiden oft unter der „Unerträglichkeit des Wissens“. Ihnen scheint klar, was sein muss, und sie sind dennoch auf die Mitwirkung derjenigen angewiesen, die weniger klar sehen.

Dieses Dilemma lässt sich denkbar einfach auflösen: Wer Aufmerksamkeit will, muss erst einmal Aufmerksamkeit geben. Wer Menschen mit einer Idee und einer Vision begeistern will, der muss zuallererst zuhören, verstehen, sich in Menschen hineinversetzen. Und man muss bereit sein, die eigene Vision nicht nur anderen mitzuteilen, sondern sie mit ihnen zu teilen. Visionen müssen mitgestaltbar und wachstumsfähig sein. Ihr Potenzial liegt darin, die Wünsche von Menschen zu antizipieren, Bedürfnisse zu erspüren einem Ansatz zur Erfüllung dieser Bedürfnisse anzubieten. Hier verbinden sich rationale und emotionale Elemente.

Wie setzt man dies jenseits einer direkten persönlichen Beziehung um? Ganz profan und handwerklich betrachtet: Man muss Markt-, Meinungs- und Motivforschung betreiben, Zielgruppenbedürfnisse identifizieren und auch Informationsverhalten analysieren. Selbst bei Gruppen, die man zu kennen glaubt. Man muss zudem eine emotional belastbare Verbindung herstellen. Man muss den direkten Dialog suchen, Formate auf Augenhöhe finden, Form und Stil der Ansprache von Hierarchie, Bürokratie und „autoritärem Gehabe“ befreien. Kommunikation soll Vertrauen schaffen. Sie ist deshalb Beziehungsarbeit. Das gilt unter vier Augen genauso wie über vier Kontinente hinweg.

Leadership beteiligt Menschen an der eigenen Vision und macht sie so zu produktiven und effektiven Mitgestaltern der Zukunft.

Wertschätzung, Transparenz, Partizipation und Gegenseitigkeit sind zu unabdingbaren Werten geworden, die Führungspersönlichkeiten leben müssen, um Werte zu schaffen.

 

Leadership-Kommunikation der Zukunft

Wer seine Ideen, Strategien und Vorstellungen von der Zukunft realisieren will, muss künftig anders kommunizieren, als sie oder er es vielleicht gewohnt ist. Klassische Zielgruppen lösen sich auf und formieren sich unter anderen Vorzeichen neu. Die Individualisierung zwingt uns dazu, immer kleinräumigere und zugleich kurzfristigere soziale Konstellationen als Zielfelder zu erkennen, auf die wir einwirken müssen. Neue, zusätzliche, auch unerwartete Stakeholder-Beziehungen entstehen. „Lifestyles“, „Communities“ und „Tribes“ bestimmen den Diskurs und damit das Meinungsbild, die Einstellungen und in der Folge das Verhalten. Und jede dieser sozialen Konstellationen schafft ihre eigene Vorstellungswelt, die mit einer eigenen Sprachwelt einhergeht.

Die Wirkung von Kommunikation hängt davon ab, diese Welten zutreffend zu erfassen und authentisch zu bedienen. Entsprechend verändern sich Medien und Kanäle. Parallel entwickeln sich neue Steuerungstechnologien wie „Nudging“ und Kommunikationstechnologien wie „Framing“, die der gestiegenen Komplexität Rechnung tragen. Man denkt immer: Kommunikation könnte so einfach sein. Tatsächlich wird sie immer anspruchsvoller.

Dazu gehört übrigens auch, als unternehmerische Führungspersönlichkeit gesellschaftpolitischen Einfluss zu nehmen. Wir sehen es als zwingenden Bestandteil von Leadership an, neben allen anderen Aufgaben für die Organisation auch aktiv unser freiheitliches und demokratisches System zu schützen und weiter zu entwickeln, da dieses überhaupt erst die Grundlagen unternehmerischer wie persönlicher Wachstums- und Entfaltungsmöglichkeiten bildet.

Wo Komplexität zunimmt, ist Orientierung gefragt.

Und Orientierung wird immer von Führungspersönlichkeiten ausgehen, die in der Verbindung aus besserem Wissen, vorbildhaftem Charakter und unbändiger Schaffenskraft den Unterschied machen. Die Zukunft gehört denen, die vorausdenken, Gehör und Anhänger finden. Sie können vorangehen und andere werden ihnen folgen. Darin gründet Leadership.

 

Foto: anankkml / fotolia „common barn owl“