Folgen in Coronazeiten: Warum, wieso und wie?

Folgen in Coronazeiten: Warum, wieso und wie?

Folgen in Coronazeiten: Warum, wieso und wie? 2560 1920 Randolf Jessl

Im Rahmen des Dossiers „Corona – Hinter den Kulissen“ führte Franziska Stiegler, Leiterin des Projekts „psyGA – psychische Gesundheit in der Arbeitswelt fördern“ beim BKK Dachverband in Berlin, mit Randolf ein Gespräch, das wir hier gerne dokumentieren. Denn es bringt einiges auf den Punkt, was uns in der Hochphase des Lockdowns stark beschäftigte.

Franziska: Du beschäftigst Dich intensiv mit dem Thema „Folgen“. Ein Wort, das vielen einen Schauer über den Rücken laufen lässt.  Warum hälst Du es für so wichtig, sich mit dem „Folgen“ zu beschäftigen?

Randolf: Weil Zusammenarbeit nur im Zusammenspiel aus Führen und Folgen gelingt. Führung ist ohne Folgen eigentlich nicht denkbar. Und auch eine Corona-Pandemie lässt sich nicht bewältigen, wenn die einen den Kurs vorgeben und Abstandsregeln einfordern und die anderen dem nicht folgen. Dann bliebe die Ansteckungsgefahr weiterhin hoch.

Dann geht es beim Folgen also ums Gehorchen?

Das steckt leider in den Köpfen vieler Menschen drin, wenn sie das Wort „folgen“ hören. Aber „folgen“ meint in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung etwas anderes als im Kaiserreich. In den allermeisten Fällen und im Einklang mit unseren Werten folgen wir aus innerer Überzeugung und nicht, weil es uns jemand vorschreibt.

Niemand muss immer und überall folgen – solange nicht Notstandsgesetze greifen und autoritäre Führer das Ruder übernehmen. Wer in dieser Sache folgt, kann und soll in einem anderen Thema selbst führen. Nämlich dann, wenn sie oder er mehr weiß, mehr kann und mehr Erfahrung hat als andere. Außerdem hat Folgen zwei Dimensionen …

Die wären?

Folgen kann man aktiv oder passiv. Im ersten Fall folgen wir dem, was andere sagen und veröffentlichen. Wir sind „Follower“ im Sinne der neuen Medien. Im zweiten Fall werden wir aktiv: Wir folgen dem, was andere anweisen, vorschlagen, anregen. Wir legen Mundschutz um oder bleiben zuhause.

In beiden Fällen sollten wir das sehr bewusst tun. Denn was wir an Information konsumieren, beeinflusst unser Denken, Fühlen und Handeln. Und wo wir mitmachen und wo nicht, entscheidet darüber, was in dieser Welt geschieht. Daher ist kritische Reflexion schon immer Pflicht – in der Krise aber umso mehr.

Wo ist das Problem, wenn wir den vermeintlich falschen Menschen oder Quellen in sozialen Medien folgen?

Auch Clicks, Likes und Shares generieren Führer und Verführer, die neudeutsch Influencer genannt werden. Wem wir glauben und wem wir uns anschließen, der oder die gewinnt an Macht und Einfluss. Das hat manche Verschwörungstheoretiker schon stark gemacht

Ok, aber wie entscheiden wir dann, wem wir folgen?

Folgen geht nicht ohne zu vertrauen. Denn man begibt sich in Obhut und Abhängigkeit anderer. Sie werden wohl wissen, was sie sagen und empfehlen. Sie werden wohl das Beste wollen. Sie können wahrscheinlich, was sie vorgeben. Wer hierzu den Mut aufbringt und nicht daneben liegt, wird belohnt.

Schön, aber wie schaffe ich es, nicht daneben zu liegen?

Folgen braucht einen Sensor. Letzte Gewissheit gibt es nicht, aber man kann auf Signale achten. Sendet jemand vor allem Statussignale, um Führungsstärke zu demonstrieren oder bemüht sich die Person zu überzeugen? Ist die Argumentation plausibel? Wie ist der Ruf der Person in Kreisen, die diese Person und ihre Expertise beurteilen können? Kann diese Person ihre Qualifikation und Erfahrung in den Gebieten, wo sie führen und andere beeinflussen will, auch nachweisen?

Dieses Problem hatte übrigens auch Google, als sie ihre Suchmaschine programmiert hat. Da gilt es ja, möglichst fundierte Information in den Trefferlisten nach oben zu spielen.

Und gelingt Google das?

Auf jeden Fall haben sie mächtige Fortschritte gemacht, seitdem sie bei der Beurteilung von Inhalten im Netz die Formel E-A-T anwenden. Das steht für „Expertise, Authoritativeness,  Trustworthiness“. Was hoch gerankt wird, sollte fachlich Substanz aufweisen, aus verbürgter Quelle stammen und vertrauenswürdig sein. Das ist eine ganz gute Formel auch für das generelle Thema Folgen.

Wenn das so einfach wäre! Wann ist eine Quelle oder ein Mensch vertrauenswürdig?

Das hat die Vertrauensforschung eigentlich schön auf den Punkt gebracht. Wir schenken anderen Vertrauen, wenn sie Kompetenz ausstrahlen, integer sind – also sagen, was sie tun, und tun, was sie sagen – sowie uns Wärme und unserer Sache Wohlwollen entgegenbringen. Letzteres meint, uns nicht zu schaden, sondern wie in der Corona-Krise uns vor Krankheit, Tod, aber auch dem wirtschaftlichen Kollaps zu bewahren.

Und die vorhin genannte Autorität? Worum geht es da?

Autorität ist für mich das Vermögen, die freiwillige Gefolgschaft anderer zu gewinnen. Macht dagegen kann Gefolgschaft auch erzwingen. Und Autorität erkennen Menschen in anderen vor allem dann, wenn diese Menschen in dem, was sie sagen, können und tun, Kompetenz und – jetzt schließt sich der Kreis – Vertrauenswürdigkeit ausstrahlen. Wir haben dazu 2018 eine Bevölkerungsumfrage gemacht und sind zu drei Dimensionen gekommen, anhand derer Menschen glauben, die Autorität anderer zu erkennen: Substanz, Habitus und Status. Und Substanz war den Befragten dabei am wichtigsten.

Zu guter Letzt: Welche Folgen hat das Folgen, zum Beispiel für unsere psychische Gesundheit?

Folgen entlastet, auch wenn das meine Söhne ganz anders sehen. Wenn wir passiv, aber bewusst den Verlautbarungen anderer folgen, stellt sich das gute Gefühl ein, verlässliche Quellen konsultiert und gut abgewogen zu haben. Beim aktiven Folgen tut es uns gut, sich vertrauenswürdigen Menschen anzuschließen und mitzumachen bei Initiativen, die uns sinnvoll erscheinen, die Erfolg haben können, bei denen man lernen und wachsen kann. Wir sollten unsere Vorbehalte gegen das Folgen wirklich über Bord werfen. Gerade in Zeiten einer Pandemie.

Franziska Stiegler, BKK Dachverband

Franziska Stiegler ist systemische Therapeutin, Organisationsberaterin und beim BKK Dachverband verantwortlich für das vom Bundesarbeitsministerium im Rahmen von INQA geförderte  Projekt “psyGA – psychische Gesundheit in der Arbeitswelt fördern”.

 

 

 

 

 

Den Beitrag zum Corona-Dossier der „psyGA“ lesen Sie hier.

 

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Photo: Liza Pooor on unsplash