“Menschen mit Ideen und Substanz gehört die Überholspur”

“Menschen mit Ideen und Substanz gehört die Überholspur”

“Menschen mit Ideen und Substanz gehört die Überholspur” 600 600 Randolf Jessl

Dorie Clark weiß, wie man sich einen Namen macht. Sie hat dazu den US-Bestseller „Stand Out“ geschrieben. Und sie ragt als Vordenkerin aus der Schar an Predigern in Sachen „Personal Branding“ und „Thought Leadership“ heraus. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, wie man als Experte Anerkennung gewinnt, warum Selbst-Marketing nichts Anstößiges ist und was man in Markenbotschafterprogrammen tunlichst unterlassen sollte.

Dorie, Du rätst Leuten, sich mit ihrem Wissen, ihrer Geschichte und ihren Ideen einen Namen zu machen. Warum?

Dorie: Weil jeder von uns am Markt austauschbar und in der Firma erst mal nur eine Ressource ist. Da sollte ich den Leuten um mich rum gute Gründe geben, warum sie gerade mit mir Projekte oder Geschäfte machen sollten.

Und dazu muss man sich gleich zur Marke machen?

Das kannst Du nennen, wie es Dir gefällt. Im Kern geht es darum, Reputation aufzubauen. Wenn Du einen Top-Ruf hast, wird es immer Leute geben, die mit Dir arbeiten wollen. Wenn Du an diesem Ruf nicht gearbeitet hast, dann schwimmst Du eben im Strom.

Und dieses Gefühl scheint immer mehr Menschen zu beschleichen …

Kein Wunder. In den vergangenen 25 Jahren hat sich in unseren Unternehmen einiges verändert. Nicht nur bei uns, sondern auch in Europa und andernorts. Firmen haben sich davon verabschiedet, Mitarbeiter ein Leben lang zu beschäftigen, und sie sehen auch nicht mehr ihre Aufgabe darin, ihre Leute altväterlich die Karriereleiter hochzubegleiten.

Darf man das? Soll frau das? Sich hervortun?

Da hilft es, für etwas zu stehen und einen guten Ruf zu haben. Klar! Aber sind die Menschen auch bereit und darauf vorbereitet, sich zu exponieren und an ihrem Ruf zu arbeiten?

Sicher, die meisten Begriffe, mit denen wir diesen Prozess beschreiben, sind sehr beladen. „Personal Branding“, „sich exponieren“, „Vordenker sein”, “Thought Leader werden” und so weiter. Das kann schon abschrecken. Aber es gibt von all diesen Begriffen jeweils ein Zerrbild und ein hilfreiches Bild.

Dann bitte das Zerrbild zuerst.

Das eine ist die Vorstellung, man müsse dieser selbstverliebte, hochnäsige Egozentriker sein, der nicht müde wird anderen zu erzählen, wie toll er ist. Niemand möchte sich mit so jemandem abgeben.

In der Tat. Was also ist das treffendere Bild?

Es gibt Wege, sich abzuheben und den Unterschied zu machen, die Dir den Respekt Deines Umfelds einbringen. Einer davon ist es, Dein Wissen zu teilen. Wenn Du auf einem Gebiet mehr weißt oder kannst als andere, wenn Du davon in Veröffentlichungen oder bei Auftritten für andere interessant und anregend berichtest, wird keiner sagen: Was für ein Wichtigtuer.

Nun denn. Was sind weitere Wege?

Gib Dein Wissen weiter, unterrichte! Oder beziehe andere kluge Leute in Deine Aktivitäten ein und lass sie glänzen. Interviewe sie, zitiere sie, und so weiter. Dabei wirst Du lernen, Du wirst Dich mit interessanten Leuten verbinden, wichtiges Wissen in Umlauf bringen und selbst an Reputation zulegen.

Viele meinen aber, sie hätten nichts Besonderes mitzuteilen. Wie gehst Du damit um?

Jeder von uns hält das, was er tut, für normal. Dabei kann es für andere ziemlich erhellend und hilfreich sein. Es geht einfach darum, sich klar zu machen, was man weiß und kann, wo man anderen voraus ist und wie man das seinem Umfeld oder relevanten Zielgruppen gut vermittelt.

Warum „Thought Leader sein“ eine noble Sache ist

Und am Ende wird man als „Thought Leader“ wahrgenommen, obwohl man diesen Begriff gar nicht mag …

So kann es kommen. Noch einmal, ich verstehe, dass viele diese Begriffe für anmaßend oder überzogen halten. Auf der anderen Seite sehe ich nichts Verwerfliches darin, mehr zu wissen oder bessere Ideen zu haben als andere. Wenn andere einen dann Vordenkerin nennen, warum nicht? Ein „Thought Leader“ ist doch eine sehr noble Sache. Und das aus zwei Gründen. Einmal, weil es ja um das Wissen und die Ideen dieser Person geht und nicht um ihr Ego. Da zählt die Substanz in dem, was die Person denkt, sagt und wie sie handelt.

Und der zweite Grund?

Gerade aufgrund dieser Substanz sind andere bereit, dieser Person zu folgen. Es ist doch wunderbar, wenn das, was man denkt, bei anderen auch etwas auslöst. Deshalb mag ich die Vorstellung von “Thought Leadership” sogar sehr gerne.

Dann sind das aus Deiner Sicht also unnötige Skrupel?

Unbedingt. Ich bin überzeugt davon, dass jede und jeder ein anerkannter Experte und „Thought Leader“ werden kann, wenn sie oder er da mit dem entsprechenden Einsatz rangeht. Schade, dass sich das viele nicht zutrauen.

Da formulierst Du eine mächtige Vision von Unabhängigkeit und Selbstwirksamkeit, die mir in Amerika verbreiteter scheint als in Europa. Damit tun wir uns hierzulande schwerer.

Leider geht auch bei uns in den Vereinigten Staaten die soziale Mobilität zurück. Das ist alarmierend. Aber immerhin gibt es noch den Glauben daran, dass man dank seiner Talente und Fähigkeiten aufsteigen und etwas darstellen kann. Diese Zuversicht wünsche ich mir eigentlich für alle Menschen, die etwas können und leisten. Jeder kann ein anerkannter, gefragter Experte werden, gleich auf welche Schule sie oder er gegangen ist, gleich welchen Hintergrund man hat. Wer bereit ist, daran zu arbeiten und strategisch herangeht, wird auch Erfolg haben. Jeder von uns kann sich Anerkennung und einen guten Ruf verschaffen!

Warum es nicht um Clicks, Shares & Likes geht

Um sich einen Namen zu machen, schielen immer mehr Menschen auf Clicks, Likes und Shares in Sozialen Medien. Ist das der richtige Weg?

Also, ich arbeite mit vielen erfolgreichen Menschen, die ihre Reputation als Experte ausbauen und als Vordenker auf ihrem Gebiet anerkannt werden wollen. Denen sage ich: Was bringen Euch Clicks wirklich? Wollt Ihr als jemand gesehen werden, der sich zu allem und jedem äußert, was gerade zieht? Das ist doch nach fünf Minuten vergessen! Was Euch wirklich hilft sind Gedanken, Ideen und Inhalte, die den Tag überdauern, die auch morgen noch online oder sonstwo gefunden werden und den Menschen helfen oder die Augen öffnen. Da macht es keinen Unterschied, ob dieser Inhalt 800.000 oder 200 Clicks hatte. Wenn unter den 200 Clicks diejenigen sind, die Du gewinnen musst, kannst Du auf die anderen 799.800 pfeifen!

Da sprichst Du mir aus dem Herzen! In den Unternehmen machen gerade „Markenbotschafterprogramme“ Schule, in denen man lernt, wie man Soziale Medien nutzt sowie Content produziert und teilt. Bringen diese Programme etwas aus Deiner Sicht?

Wenn sich das an diejenigen richtet, die da eine Leidenschaft drin haben und dabei unterstützt werden, dann bin ich zu 110 Prozent dabei. Wenn es aber so eine Art Pflichtübung wird, wo es dann heißt „Gratulation, Ihr beide seid für unser Programm auserwählt, jetzt macht mal“ oder „Ab jetzt verschickt Ihr fünf Tweets die Woche, denn Ihr seid unsere Botschafter“, dann ist das natürlich ziemlich dämlich.

Wie „Thought Leadership“ Führung neu definiert

Ein letzter Blick auf den Leader im „Thought Leadership“. Kann man wirklich mit Gedanken, Wissen und Ideen andere führen?

Dieser Anspruch verändert zumindest den Blick darauf, was Führung ausmacht. Denn hier geht es darum, dass die Menschen wissen, warum sie jemandem folgen sollen und wollen. Die Person, die in Führung gehen will, macht deutlich: “Das bin ich, dafür stehe ich.“ Und die, die folgen wollen, sagen: „Genau, darum geht’s. Das sehe auch ich so, da will ich dabei sein.“ Auf diese Weise bildet sich Gefolgschaft schnell und nachhaltig. Menschen mit Ideen und Substanz gelangen so auf die Überholspur. Und es schafft Augenhöhe zwischen den Beteiligten. Denn es geht einfach darum, der besten Idee zum Sieg zu verhelfen. Wenn die Idee schlecht ist, wird sich ihr niemand anschließen.

Dafür hat der belgische Universitätsprofessor und Psychoanalytiker Paul Verhaeghe einen schönen Begriff geprägt: „horizontale Autorität“. Diese Autorität verleihen Gruppen denjenigen, die sie in spezifischen Fragen die größte Kompetenz zutrauen. Und die, die in Führung gehen wollen, müssen sich diese Autorität mit dem, was sie denken, sagen, tun, bei ihren Followern erst erwerben. Siehst Du das auch so?

Unbedingt. Es ist doch so: Die besten Ideen sollten gehört werden und Anhänger finden, gleich ob in der öffentlichen Debatte oder in Unternehmen. Und wir brauchen Menschen mit brillianten Ideen und anerkannter Expertise, die vorangehen und Gefolgschaft gewinnen. Das kann die berühmte Professorin sein, der Topmanager, ein einfacher Angestellter oder die bloggende Schülerin. Ich mag diese Vorstellung, denn sie kann so viel verändern!

Dorie, vielen Dank für dieses Gespräch. Bleib dran, wir tun es auch.

 

Zu unserer Gesprächspartnerin

Dorie Clark lehrt an der Fuqua School of Business der Duke University und hat die Bücher  Entrepreneurial You, Reinventing You und Stand Out geschrieben, von denen das letztere vom Inc. Magazin zum “#1 Leadership Book of 2015” erklärt wurde. Die New York Times beschreibt sie als “Expertin in Fragen, wie man sich selbst neu erfindet und anderen dazu verhilft, ihr Leben zu verändern“. Dorie schreibt regelmäßig für die Harvard Business Review, berät Personen und Organisationen weltweit und spricht auf angesehenen Konferenzen wie dem Peter Drucker Forum 2018.

 

Fotoverweis: Dorie Clark