Autorität und ihr Code: Signale entschlüsseln

Autorität und ihr Code: Signale entschlüsseln

Autorität und ihr Code: Signale entschlüsseln 1222 829 Randolf Jessl

Was ist Autorität, wie erkennt man sie, wie erlangt und verliert man sie? Das sind Fragen, die wir mit unserer Studie „Wem folgt Deutschland?“ beantworten wollen. Uns erreichen dazu Fragen und Anmerkungen. Mit diesen setzen wir uns in loser Folge auseinander. Heute: Wo in Eurem Praxismodell steckt genau der Autoritätscode?

Die Frage ist berechtigt. Denn unser Praxismodell umfasst zwei Ebenen.

Der „Autoritätscode“: Ein Modell für die Führungs- und Kommunikationspraxis, Auctority 2018

Die erste Ebene ist der eigentliche Code, also ein System aus Zeichen und Signalen, anhand dessen Menschen Autorität erkennen und bewerten. Dieses System aus Zeichen und Signalen umfasst vier Dimensionen, die wir in den runden Elementen unserer Grafik zusammengefasst haben. Gewonnen haben wir sie im Rahmen unserer Bevölkerungsstudie „Wem folgt Deutschland“. Und zwar, indem wir tausend Menschen online danach fragten, woran sie glauben, Autorität zu erkennen und aus welchen Gründen sie einer Person Autorität zuschreiben.

Die zweite Ebene hebt auf Assoziationen rund um Autorität ab. Das sind alle Vorstellungen, die die von uns befragten Menschen geäußert haben, als wir wissen wollten, womit sie Autorität verbinden. Die Antworten hierauf polarisieren stark. Eine Fraktion der Befragten verband mit Autorität eher aggressive Verhaltensweisen, die man auch als „autoritär“ bezeichnen könnte. Sie assoziierten mit Autorität vor allem Vorstellungen von Zwang, Gewalt und Willkür.

Doch die größere Fraktion der von uns Befragten hatte ein positiveres Bild von Autorität. Sie verbanden mit Autorität vor allem Vorstellungen von Vertrauen, Sicherheit und Orientierung. Es sind Vorstellungen, die anders als die „autoritäre“ Lesart von Autorität, nicht spalten und nötigen, sondern eher Gemeinschaft stiften und darauf abzielen, die Follower von etwas zu überzeugen.

Autorität zwischen Aggression und Kohäsion

Statt Aggression wird hier – in unseren Worten – Kohäsion (Zusammenhalt) mit Autorität verbunden. Wir möchten diese Art, Autorität zu verstehen und zu leben, als die „autoritative“ Variante bezeichnen. Das Wort ist im Deutschen wenig gebräuchlich, während im angloamerikanischen Sprachraum die Gegenüberstellung von „authoritarian“ („autoritär“) und „authoritative“ („autoritativ“) gängig ist. Diese Unterscheidung sorgt für Klarheit, die in deutschen Debatten zum Thema leider fehlt. Das möchten wir ändern.

Zumal wir eine erfreuliche Entdeckung gemacht haben. Die „autoritative“ oder auch „kohäsive“ Lesart von Autorität gewinnt weiter an Zuspruch. Da wir uns an eine Studie von Allensbach aus dem Jahr 2010 im Auftrag der Herbert-Quandt-Stiftung angelehnt haben, können wir hierzu Vergleiche ziehen. Und die legen nahe: 2018 verbinden noch mehr Menschen mit Autorität eine gemeinschaftsstiftende, Orientierung und Halt gebende Wirkung, als das 2010 der Fall war. Autorität hat also gute Chance, wieder zur positiv besetzen Richtschnur zu werden in Fragen, wer führen kann und wem zu folgen es lohnt.

Wahrnehmung von Autorität: 2010 und 2018

Soweit zu den beiden eckigen „Elementen“ unseres Praxismodells. Sie beschreiben also etwas, das man als

  • das „Erleben von Autorität“ (Wahrnehmungen und Vorstellungen derjenigen, die Autorität an anderen wahrnehmen) sowie
  • das „Leben von Autorität“ (also das Verhalten und die Wirkung von Menschen, die als Autorität von anderen wahrgenommen werden) bezeichnen könnte.

Sie sagen aber nichts darüber aus, was Autorität eigentlich ist oder woran man sie erkennt.

Zwei Ebenen, vier Elemente: Der Autoritätscode

Das tun die runden Elemente unseres Praxismodells. Sie beschreiben den eigentlichen „Autoritätscode“. Der umfasst eine Vielzahl von Aspekten, die wir in vier große Blöcke unterteilt haben.

Am wichtigsten ist die Wahrnehmung von Kraft, Stärke oder – wie wir es nennen – „Potenz“ einer Person. Sie ergibt sich aus dem Zusammenspiel der im äußeren Kreis dargestellten Zeichen- und Signalfelder.

Autorität ist und bleibt eine Form von Überlegenheit, die Menschen den von ihnen als Autorität gesehenen Personen zuschreiben.

Es ist auch diese Potenz, auf die sich der Respekt und das Ansehen der Person gründen, die als Autorität wahrgenommen wird.

Diese Potenz erwies sich in unserer Befragung als das robusteste Attribut von Autorität: Gleich, ob jemand eher der „autoritären Lesart“ von Autorität zuneigte oder der „autoritativen“, wie immer sich auch sonst die Befragten unterschieden: Vorstellungen von „Potenz“ verbanden die allermeisten Befragten mit Autorität. Für uns ist daher der Kern von Autorität diese Stärke, nennen wir sie „Führungskraft“.

Signale von Autorität und „Führungskraft“

Unterschiedlicher dagegen fielen die Zustimmungswerte zu den Zeichen und Signalen aus, die wir im zweiten Kreis dargestellt haben. Hier haben wir Merkmale von Autorität geclustert, anhand derer die von uns Befragten angaben, Autorität an anderen zu erkennen. Wir haben diese dann grob nach der Häufigkeit ihrer Nennung durch die Befragten gewichtet. Es sind dies Merkmale, die wir in die drei Gruppen

  • Substanz
  • Habitus und
  • Status

zusammengefasst haben.

Substanz umfasst dabei Zeichen und Signale, die auf das Wissen, die Erfahrung, das Können und die Ideen einer Person, die als Autorität gesehen wird, Rückschlüsse erlauben.

Habitus wiederum umfasst Zeichen und Signale im Auftreten, im Sprechen und Handeln, die für die Befragten auf das Vorhandensein von Autorität hindeuten.

Zu guter Letzt gib es noch Zeichen und Signale, die den hervorgehobenen Status einer Person markieren. Das können Titel, Auszeichnungen oder Zertifikate sein.

Wichtig dabei: Die Gewichtung der Attribute variiert von Person zu Person. Es kann durchaus Menschen geben, die Status und Habitus wesentlich höher gewichten als Substanz, wenn es darum geht, zu bestimmen, ob das Gegenüber eine Autorität ist. Im Durchschnitt unserer Befragung ergab sich allerdings das umgekehrte Bild. Hier rangierte Substanz deutlich vor Habitus und noch deutlicher vor Status.

Was bringt es, den Autoritätscode zu kennen?

Was nun aber tun mit diesem Code? Nach unserer Überzeugung ist er überall dort von Wert, wo sich die Frage stellt, wer führen soll und wem es lohnt zu folgen. Das ist oft keine Frage, sondern vorbestimmt: Hierarchien, Ämter und Rollen regeln das verbindlich. Dennoch folgen auch hier Menschen mit mehr Einsatz und Leidenschaft, wenn sie sich aktiv und freiwillig dafür entscheiden.

Zumindest in zwei Bereichen aber ist nicht vorbestimmt, wem man folgen will – und beide gewinnen stetig an Bedeutung.

  1. Dort nämlich, wo Menschen auf Augenhöhe in zunehmend informellen Gruppen zusammenarbeiten wollen. Das ist in Projekten der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und vielen anderen Bereichen der Fall. Auch hier braucht es Autoritäten, die anderen die Richtung weisen. Wer dazu aber taugt, bestimmt die Gruppe selbst abhängig von der Situation. Experten sprechen von „horizontaler, fließender Autorität“ (vgl. Literaturhinweise zu acatech und Paul Verhaeghe am Fuß des Artikels) oder auch „lateraler Führung“ („Führung von der Seite“). Nicht von ungefähr kommen Günther Fürstberger und Tanja Ineichen, die ein kluges Buch zu lateraler Führung geschrieben haben (siehe Literaturhinweise), zu einem Modell zur Beurteilung von Autorität, das dem unsrigen, auf der Bevölkerungsumfrage basierenden Modell sehr ähnelt.
  2. Dort, wo Menschen Rat und Orientierung bei Menschen suchen, deren Expertise nicht leicht und eindeutig zu bestimmen ist. Das ist immer häufiger in Sozialen Medien der Fall, wo Menschen anderen Menschen „folgen“. Gerade auf Gebieten, für die es keine anerkannten Zertifizierungsstellen und Qualitätsstandards gibt, schält sich Autorität über das Zusammenspiel von Substanz, Habitus und Status heraus – bei dem die eigentlich als wichtig erachtete Dimension „Substanz“ gegenüber Habitus und Status am schwierigsten zu bestimmen ist. Nicht jeder, der Follower in großer Zahl um sich versammelt und sich damit den Status eines „Influencers“ erarbeitet hat, taugt zur Autorität in Fragen, die er breitenwirksam beantwortet. Das war schon Thema im ersten Teil dieser Serie.
Autorität lesen und leben

Halten wir daher vier Aspekte fest.

  1. Autorität ist eine Überlegenheit – die die einen in anderen erkennen. Ob sie wirklich besteht, liegt stark im Auge des Betrachters.
  2. Autorität lässt sich „lesen“. Wer unseren Code vor Augen hat, kann aufmerksamer und kritischer zwischen den Autoritätssignalen von Substanz, Habitus und Status unterscheiden.
  3. Autorität wird „gelebt“ und gestaltet. Menschen senden Signale von Substanz, Habitus und Status aus, die dazu beitragen, dass sie als Autorität wahrgenommen werden.
  4. Autorität kann auf zwei unterschiedliche Arten gelebt und erlebt werden. Autoritäten können die an ihnen wahrgenommene Stärke (Potenz) in einer „autoritären“ oder einer „autoritativen“ Weise leben.

Unnötig zu betonen, dass wir der „autoritativen“ Variante mehr Sympathie entgegenbringen und sie mit unseren Mitteln fördern.

Autorität verleihen und entziehen

Die Herausforderung dabei: Autorität kann auch entzogen werden. Dann, wenn Zweifel an der Stärke (Potenz) der Person aufkommen. Wenn Substanz, Habitus und Status in Frage gestellt werden.

Genau hier liegt das demokratisch-freiheitliche Potenzial der autoritativen Spielart von Autorität. Sie wird verliehen von Menschen, die selber denken und beurteilen. Und sie kann bei Missbrauch oder Fehleinschätzung vermeintlichen Autoritäten wieder entzogen werden.

Autorität ist daher kein Privileg mehr, sondern basiert auf besserem Wissen, Einsatz und Schaffenskraft, die andere wahrnehmen und anerkennen. Das wusste schon der Managementforscher und Publizist Cyril Northcote Parkinson vor einem halben Jahrhundert.

Was also in Firmen, im Netz, in der Öffentlichkeit gebraucht wird, ist eine Autoritätskultur – in der alle Autorität lesen und leben können. Und zwar jene Autorität, die auf Kohäsion und autoritative Wirkung abzielt, die Vertrauen, Sicherheit, Freiheit und Orientierung gibt. Unser Autoritätscode ist ein wichtiges Instrument, dieser Kultur in Wirtschaft und Gesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen.

 

Literaturhinweise

Acatech (Hg.): „Die digitale Transformation gestalten. Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen“, München, 2016 (acatech Impuls)

Verhaeghe, P.: „Autorität und Verantwortung“. München, 2016 (Kunstmann).

Fürstberger, G., Ineichen. T.: Commitment gewinnen als laterale Führungskraft. Freiburg, 2016 (Haufe).

Auctority (Hg.), „Wem folgt Deutschland? Eine Studie zu Autorität und ein Modell für die Praxis“, Freiburg 2018

 

Unsere Studie „Wem folgt Deutschland?“ schicken wir Ihnen gerne per Post zu. Eine Mitteilung auf unserer Kontaktseite oder eine Mail an connect(at)auctority.net mit vollständiger Adressangabe genügen.

 

Fotohinweis: 2photo on unsplash